25 Juli 2006

von Isabel am 25.7.: Über Potential

Huhu und Guten Morgen!

Ja, da hast du Recht, der Berg Arbeit ist in seiner Anstarrheit eine Belastung für mich. ;-)
Es liegt vor allem daran, dass es nicht an mir liegt, ihn zu bewältigen.
Das ist ein „Ich-warte-noch-auf-Details-Berg“, hier fehlt noch eine Beleg, dort ein ok, dort eine Info. Das nervt tatsächlich, weil ich gern diese Woche alles erledigt hätte und nächste Woche dann frei nehme.

Aber Arbeit zurückzulassen und freie Zeit genießen, das kann ich nicht - ist das ein Zwang, ein Kontrollwahn? Kann ja sein.

Klar hab ich mir gleich deine Website angeschaut und sie sieht sehr professionell aus, wie ich finde und selbstverständlich werde ich mich gern noch einlesen.

Deine Idee - selbst wenn es nur eine Idee wäre - irgendwann einmal auszusetzen und zu reisen oder einfach einmal wo anders zu leben und etwas ganz anderes zu tun, sog ich auf wie ein Schwamm.

Diese Idee verfolgt mich schon lange und war es früher, weil ich unzufrieden war oder frustriert, so hätte ich jetzt ganz andere Motive, vor allem das, sich selbst täglich neu zu zeigen, was Freiheit eigentlich ist.

Es gibt, wenn man im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, und nur dort, die Form des Sabbatical - man bekommt für vier Jahre 75% seines Gehalts und kann dafür aber zwischendurch neun Monate frei nehmen - wann immer man möchte, ob zum Teil oder am Stück.

Das stelle ich mir unter Freiheit vor, man muss sie ja nicht tatenlos verbringen, sondern eher recherchieren für die Diss? Wobei wir beim Thema wären - was fordert mehr Produktivität: Druck oder Freiheit?

Also, wenn meine Meinung etwas dazu beitragen kann, dann möchte ich behaupten, dass Druck der Produktivität im kapitalistischen Sinne durchaus förderlich ist, die Freiheit aber die wahren Motive - die Bestimmung, wenn man so will - die völlige Entfaltung und die höchste Erkenntnis bringen kann.

Aber immer mit der Betonung auf KANN, weil es doch einiges voraussetzt, was scheinbar bei deinem Familienbeispiel nicht gegeben war.

Es klingt bestimmt sehr arrogant, wenn ich das so schreibe: aber ich bin mir sicher, ohne einem gewissen Potential an Intelligenz ist die Freiheit, die man bekommt, nicht nutzbar. Sie wäre dann ein Geschenk, mit dem man nichts anfangen kann, vll sogar überfordert ist damit?

Das Entscheidende ist doch - so glaube ich und meine Überzeugung hat ja niemals das Recht auf allgemeine Gültigkeit - ob die Bedürfnisse, die entstehen, entstanden sind, oder ein Leben lang entbehrt werden mussten (was das Ganze noch schwieriger macht) optimal erfüllt werden können - von sich selbst und von anderen, vor allem in der Kindheit. Und diese Optimalität ist immer individuell, das weiß man halt vorher nicht, immer nur im Nachhinein.

*seufz*

Dein Anschauungsbeispiel, liebe @sine, ist tatsächlich etwas, was auch ich eine verhaute Sache nennen würde und es tut einem sehr Leid, wenn man so etwas beobachtet, nicht? Ich fühle mich dann immer gleich so entsetzt, weil ich denke, die hatten doch auch mal Potential, was ist nur daraus geworden - aber hatten sie das wirklich?

Als gelernter Milieukritiker möchte ich ja gern der Erziehung fast ausschließlich Schuld an der Entwicklung geben, aber aus eigener Erfahrung kann ich das nicht.

Aber deine Frage war ja - wenn ich es richtig verstanden habe - wie es sein kann, dass Geschwister, die unter gleichen Voraussetzungen und Bedingungen groß geworden sind (wenn es so zutreffen sollte), sich so konträr entwickeln:

Einerseits sind welche am Rande der Gesellschaft, nicht integriert und leiden an der eigenen Unfähigkeit, die sich in Destruktivität äußert,
und andererseits ist da deine Freundin, die sich mit übertriebenem Verantwortungsgefühl und wohl auch viel schlechtem Gewissen, dass sie sich so ganz anders entwickeln konnte als die Geschwister, selbst das Leben schwer macht.

Die Familie zusammenhalten - warum nur, weil Blut dicker als Wasser wäre?

so what?

Verkrachte Existenzen innerhalb der Verwandtschaft sind mir ja ein Begriff, Verantwortung für etwas übernehmen, das ich weder provoziert noch beeinflussen kann, schon weniger.

Aber ich kenne solche Fälle auch aus meinem Bekanntenkreis. Eine Freundin bemühte sich stets um ihre völlig verkorkste Familie, obwohl ihr schon die Therapeutin dringend zu Abstand riet. Sie wurde misshandelt in ihrer Kindheit und das knüpfte Bande?

naja

Will damit sagen:

Auf die Frage, ob Zwang und Unfreiheit auch und vielleicht gerade zu positiven Ergebnissen führen können, dass - meiner Meinung nach - immer beides möglich ist, beides aber meist und nur in ihrem extremen Ausmaß passiert, ich habe dabei noch nie ein Mittelmaß beobachtet.

Also entweder verhalten sich die, die unter dem Zwang und der Unfreiheit leiden (und nicht selten daran zerbrechen) dann absolut ident mit den Peinigern. Sie werden schließlich so, wie es ihnen vorgelebt wurde, sie werden zu ihren Eltern, ihren Geschwistern. Sie haben keine individuelle Persönlichkeit, die wurde früh verhindert, sie sind Gefangene in dem, was sie gewohnt sind.

Oder sie werden zum absoluten Gegenteil - so ganz anders, als würden diese Erfahrungen erst ein Potential geweckt haben, das sonst vll ein Leben lang nur geschlummert hätte. Es sind die Kämpfer, die Unermüdlichen, die Energetischen, die nicht selten zu brillanten Taten fähig sind - insgesamt sind sie aber eher selten meiner Beobachtung nach.

Aber was macht den Unterschied aus, wie kann man es beeinflussen, wie und in welche Richtung Entwicklung geht?
Hier bin ich wieder beim Potential, bei den Möglichkeiten, bei den - wenn man so will - gottgegebenen Fähigkeiten, die man ausbauen kann, unter welchen (individuellen) Voraussetzungen auch immer:
Die Fähigkeit zum reflexiven Denken, zum Hinterfragen, zum Assoziationen bilden und zum Durchschauen, die Fähigkeit, sich über seine Probleme zu erheben und sich selbst an der Hand zu nehmen und herauszuführen.

Dazu gehört soviel Mut und Stärke und eine Größe, die ich selten sehe, mich aber immer wieder freue, wenn es sie gibt.

Hm, das glaube ich heute und frage mich, ob ich das nicht etwas weniger ausschweifend schreiben hätte können?
vermutlich nicht
;-)

Euch einen schönen heißen Tag in den Tropen und lieben Gruß von
Isabel!

Keine Kommentare: