23 Juli 2007

planzen mit blättern

hallo fee,

das verstehe ich gut. ich denke, in diesem jahr ist bereits unglaublich viel in diesem blog geschrieben worden. wenn wir nach der anzahl der postings pro jahr gehen, die in diesem blog bisher produziert worden sind, würd ich denken, jeder von uns braucht nur noch wenige postings zu verfassen, dann haben wir denselben schnitt von letztem jahr.

und letztes jahr waren wir noch mehr bloggerinnen und blogger.

und letztes jahr war dieserblog noch nicht so alt...

irgendwann verlässt uns dieser blog vielleicht, liebe leute. ich denke über diesen umstand so, dass ich es nicht traurig finden würde, obwohl ich es liebe, meine gedanken zu teilen.

der nachteil (für mich) wäre jedoch, dass ich mich vielleicht auch verschließen würde. dass ich mir den gedanken "ja DAMALS war ich noch voller ideen und hatte drang zu schreiben..." leisten würde und vielleicht einige jahre pause einlegen würde in meinem streben nach problemlösungen. motto: ich hab keine probleme, denn ich denke nicht mehr drüber nach.

hallo auch an dich, isabel.

isabel! du sprichst mir pfeilscharf auf den punkt mein thema an:

Wie immer deine Klausuren ausgehen, sie bringen dich ein Stück weiter. Selbst wenn die Note nicht positiv sein sollte, so weißt du dennoch mehr [...]


ich kam heute von der klausur (nur einstündig! lachhaft kurze prüfung also) heim und die frage, warum ich das eigentlich mache - ich meine: warum ich dieses studium mache -, war plötzlich da wie ein großes tuch, was genau vor meinen augen aufgespannt worden ist (in roter warnfarbe mit weißer schrift, wenn ihr genauer wissen wollt, wie diese frage sich mir gestellt hat *hihi*).

ernsthaft!

ich hätte diese fragestellung wegwischen können und mir sagen können, das zweifel am studium ja normal sind, wenn die klausur schlecht gelaufen ist.

aber durchhalteparolen waren gestern. heute versuche ich, immer herauszufinden, ob sich mir ein echtes anliegen präsentiert oder ob ich vielleicht wieder auf irgendeinem meiner kleinen trips bin...

diesmal tendierte ich geraume zeit zu der ansicht, dass es meine mutter war, die in meinem kopf wie mit einer spielzeugpistole diese nachricht in großen lettern aufpoppen lassen hat. motto: 'du schaffst es sowieso nicht'.

der gedanke, dass es meine mutter ist, die gar nicht in der realität so etwas zu mir sagen muss, sondern die in meiner vorstellung bereits verächtliche und verletzende "wahrheiten" von sich gibt, war so unangenehm, dass ich ihn dann eigentlich nicht weiter zulassen wollte.

aber dann hab ich eine weile rotiert - monsieur ist dann immer ganz groggy, wenn ich meine gedanken verbal äußere und ihm alle gedanklichen ansätze präsentiere, die natürlich spontan sind und auch gern wieder verworfen werden.

am ende hatte ich tatsächlich etwas gelernt, was mich (wie immer) deshalb erstaunt hat, weil es so einfach war. und dennoch war ich an diese sichtweise nicht herangekommen (mit dem herzen). aber jetzt!

der gedanke war (und ist) folgender:

warum studiere ich eigentlich? und: warum studiere ich eigentlich ein fach, was mich nicht wirklich interessiert??? grund nr. 1: flucht vor meiner identität als anwältin. (zwischenfazit: das hätte ich auch anders hinbekommen können, meine kanzlei dicht zu machen, und hätte dazu nicht bwl studieren müssen - aber anders hatte ich es mir vor meiner lieben mutter halt nicht getraut damals). grund nr. 2: ich finde es schön. so schmerzhaft die herausforderung dieses (und wohl jedes) studiums auch ist (gerade, wenn man scheisse klausuren schreibt *seufz*) - es ist auch aufregend. ja! im unterschied zum beruf kann ich mich nicht herausreden. ich kann mich nicht auf meine nischen verlassen. nein, ich werde gefragt, was ich kann, und manchmal muss ich dann glasklar erkennen, dass ich gar nicht alles kann.

ich muss zugeben, als anwältin hab ich gerade dadurch, dass ich mich so schnell in verschiedene themen einzuarbeiten hatte (insbesondere für strafprozesse, in denen sachverständige zu befragen und kritisch zu durchleuchten waren), irgendwie anscheinend den latenten eindruck bekommen, ich könnte theoretisch alles leisten.

vielleicht war es auch nur dieses "erwachsensein", also dieses ewige für-sich-selbst-einstehen, was einen einfach hart werden lässt gegen zweifel und einen veranlasst, sich auch mal für dinge zu loben. das zeitfenster ist einfach zu klein, um sich dauergrübelnd in die ecke zu verziehen... und es wird ja auch nicht erwartet und es scheint auch nichts zu bringen.

jetzt hingegen bin ich offen wie eine wunde.

das studium ist grausam anstrengend. isabel: auch mir glauben leute dinge nicht. die frage, ob mich mein studium interessiert oder ob es sich lohnt, kommt (zum glück oder zum unglück) nicht oft auf - vermutlich ist mein studium zu rational. oder ich höre einfach bei solchen fragen nicht richtig hin.

aber was mir leute nicht glauben, ist, dass es sau-anstrengend ist. dass ich wirklich zur uni rase wie ein geölter blitz, dort ebenfalls wie ein geölter blitz von vorlesung zu vorlesung kurbele (die ja nicht etwa alle innerhalb ein und desselben gebäudes in berlin stattfinden) und dass ich zwischendurch mit humor oder auch mit selbst ausgedachten hintergrundfragen in den vorlesungen zuhöre wie eine verrückte.

das studium erscheint mir richtig futuristisch in dieser (einen) hinsicht, dass so wahnsinnig viele informationen in so kurzer zeit eingeholfen werden (sollen).

also nochmal:

warum das alles???

und auch deine frage, isabel (die du mal vor vielen postings gestellt hattest): warum DIESES studium?

nun, es gilt, mir diese frage möglichst ohne dieses blöde riesen-transparent, das die imaginäre mutter in meinem kopf schon gleichmal für mich aufgespannt hat, zu stellen.

warum willst du, sine, dieses studium?

nun, von der flucht vor meinem dasein als anwältin als grund (= grund nr. 1) ist ja nicht mehr viel übrig geblieben. ich werde dahin nicht zurückkehren, solange ich dazu keine lust habe, und das ist so und dazu brauch ich nicht kostenrechnungsklausuren in einem anstrengenden bwl-studium zu schreiben.

aber grund 2...? ja, ich finde es schön. ja ich mag diese herausforderung. und ja, ich sehe meine langsam keimenden lernzuwächse wie eine planze an. hier hat sie ein blatt getrieben, dort hat sie (meine mathe-pflanze meine ich) noch ein kleines blatt getrieben... wird das neue blatt denn wohl auch so schön wie das alte? oder wird es noch schöner vielleicht?? wie groß wächst meine mathe-pflanze denn wohl? was braucht sie - pflege ich sie richtig? wo stelle ich sie hin, wenn mein studium (so oder anders) eines tages zu ende ist?

es ist so, dass ich in diesem semester fortschritte gemacht habe - ja fortschritte. in mathe!

ich habe mir doch letztens unterlagen von meinen ersten beiden semestern angeschaut. mein gott, ich habe vom ersten tag meines studiums gleichungen aufgeschrieben, in denen ich ableitungen geschrieben habe! und ich hab sie nicht verstanden. ich konnte mir nichts darunter vorstellen, ich konnte die notationen nicht verstehen, ich konnte diese "sprache" nicht verstehen, die mathe nunmal ist.

mir fiel heute ein, dass mathe für mich so panik-besetzt war in meinem bisherigen leben, dass ich noch nicht einmal fähig war, einen prozentsatz rückwärts auszurechnen (also: ich wusste nicht, wie man aus einer brutto-summe die mehrwertsteuer herausrechnen kann).

vieles in meinem leben war so, also ob ein weißes tuch darüber gelegen hätte: man kann erkennen, dass da etwas hinter dem tuch ist. manchmal sieht man umrisse, oder man lässt auch nur seine fantasie spielen.

aber ich habe es nicht nur nie gekonnt, nein, ich habe es auch nie GEWAGT, dieses weise tuch über allen mathematischen themen für mich (!) zu lüften.

dieses weiße tuch war doch nur eine der vielen grenzen, die mir mein inneres aufgezeigt haben mit meinen ewigen inneren litaneien "das-kannst-du-doch-nicht", "das-bist-du-eben-nicht", etc.

dieses weiße tuch ist jetzt gelüftet.

blöderweise sehe ich dann nicht automatisch scharf, was mathe denn nun ist und wofür ich (!) es genau brauche in meinem künftigen leben.

aber ich sehe, wie die indizes und griechischen buchstaben zu sprechen beginnen. sie erscheinen mir jetzt freundlicher, und auch, wenn die angst noch da ist, dass ich in dieser neuen mathe-welt versagen und untergehen kann, so komme ich mir ein bissi wie im wunderland vor.

da eine blüte. hier ein lichtschimmer.

und ich kann ja jederzeit zurück in mein altes anti-mathe-leben!

ich will hier kein plädoyer halten für lernen. aber ich selbst erlebe einfach etwas, was ich mir auch nicht so ganz logisch klar gemacht hatte, als ich mein studium begonnen hatte: ich erlebe, dass die welt größer ist, als ich bisher erkannt hatte.

und ich erkenne, dass die alten geister, die mich am boden gehalten haben, plötzlich recht niedlich aussehen - und bald werden sie verschwunden sein, so wie mein unfreundlicher herr selbstzweifel schon lange im exil verschwunden ist.

so

und das transparent, dass die imaginäre mutterperson in meinem gehirn schon entrollt hat, hängt plötzlich vor dem falschen fenster!

ich interessiere mich nicht mehr primär für die frage, wo "das alles" hinführen "soll". ich interessiere mich endlich wieder nur für die frage, ob es mir gutgeht mit meinem lebensweg.

ich will dabei aber nicht behaupten, dass ich heute nachmittag dann gleich den stein der weisen gefunden habe und nun ganz genau weiß, wo sich in meinem leben der spreu vom weizen trennt.

aber: ich sehe, dass ich durchaus zufrieden bin.

und: ich sehe, dass ich mir fast alles hätte kaputtmachen lassen von meinen eigenen ängsten. von meinem missverständnis, dass prüfungen mich an einer nicht sichtbaren und grausamen messlatte messen.

es ist so, wie du geschrieben hast, isabel: diese prüfungen sind situationen, in denen ich auf jeden fall einen nutzen erhalte.

vielleicht meintest du diesen nutzen mehr auf das fach bezogen - nun, diesen nutzen sehe ich natürlich auch. gerade heute hat meine mathe-pflanze wieder neue triebe bekommen, so schmerzhaft sie auch für mich in die wirklichkeit gekommen sind (denn ich musste nach verkackter klausur monsieur fragen, wie es denn nun richtig gewesen wäre... aua).

aber ich sehe auch, dass diese innere not, die man nunmal in prüfungssituationen empfindet, mir keine dunklen abgründe präsentieren. sondern dass das, was da offengelegt wird, vieeeel gesünder ist als das, was mir in anderen notsituationen des lebens von meiner psyche gezeigt worden ist.

hm

außerdem... hab ich mir vorgenommen, schriftstellerin zu werden, wenn ich durchfalle durch meine klausuren.

*hihi*

so... sehe ich also diese klausuren. danke, isabel, dass du mir sozusagen das stichwort gegeben hattest.

gruß

sine

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