16 September 2005

von Para am 16.9.2005: Herr Selbstzweifel und seine Cousine Spießigkeit

Paragraefin schreibt an FrauPost:

darauf muss ich jetzt noch kurz antworten, bevor ich in meine Arbeit abtauche.

Auch ich kenne Herrn Selbstzweifel, ich will nicht übertreiben, aber ich glaube, ich hatte früher ihn und auch noch alle seine Geschwister und sonstigen Anverwandten bei mir im Kopf zu Gast, aber bei mir ist er im Lauf der Zeit geschrumpft. Ich habe ihn schrumpfen lassen, indem ich Selbstzweifelgedanken weggeschoben habe oder es jedenfalls versucht habe. Ganz anders als Du, die Du Dich so bewusst damit auseinandersetzt, überlegst, warum Du Dich jetzt schlecht fühlst etc. Ich weiss inzwischen (nach P-Analyse) zum Großteil, woher diese Gedanken kamen und auch noch kommen, ich habe beschlossen, dass mir das reicht, um ihre Wertigkeit einschätzen zu können. Gering, aber sie müssen auch da sein, weil man sonst zur Überheblichkeit neigt.

Was den Job anbelangt, so sehe ich alles aus einer ganz anderen Perspektive als Du. Nachdem es mich arg gebeutelt hatte, bin ich jetzt seit 3 Jahren bei der gleichen Firma (früher war ich nirgendwo länger als ein halbes bis ein Jahr). Ich hatte auch eine bestimmte Vorstellung von Jura und den Tätigkeiten, die damit verbunden sind. Idealistisch halt. Meine "Beutelzeit" war das Ergebnis. Ich konnte mich nicht damit abfinden, dass das wahre Leben so ganz anders ist. Nämlich voll von Intrigen, Machtspielchen, stupider Tätigkeit, etc. Ich dachte immer, es gibt DEN JOB für mich. Gab es aber nicht, stattdessen habe ich Jeanne-d'Arc-mäßig für die Entrechteten kämpfen wollen und mich für eine gewisse Moral und Unternehmensethik eingesetzt. Mit dem Ergebnis, dass ich überall rausgeflogen bin, nachdem ich mich entsprechend aufgeführt habe. Und jetzt bin ich drei Jahre hier. Ich weiss, dass meine Arbeit mich nicht erfüllt und nie erfüllen wird, auch in einem anderen Unternehmen nicht. Aber ich brauch die Kohle, also arrangiere ich mich und organisiere mir ein wirklich tolles Privatleben.

Ich bewundere Selbständige, aber dazu hatte ich nie den Mumm und ich war immer schon stinkend faul. Lieber ein bequemes und sicheres Angestelltenverhältnis. Als ich das vor 3 Jahren endlich erkannt hatte und begonnen hatte, es zu leben (mich also von meiner Anarchisten-Zeit verabschiedet hatte), wandten sich ein paar Leute von mir ab. Weil ich wahrscheinlich damit ein bisschen spießig geworden bin. Aber warum soll ich immer einem Bild entsprechen. Natürlich hätte ich lieber, dass mich jemand cool und lässig findet, aber wenn ich das nach außen vorgeben muss, obwohl es innerlich in mir spießert, zerreisst es mich irgendwann.

Jetzt aber zurück zu Dir: Bei Dir bin ich mir nicht ganz sicher, ob Du wirklich einen Vollzeit-Job in Festanstellung machen wollen würdest. Deine Selbständigkeit wirst Du wohl nicht aufgeben wollen, kann ich auch verstehen. Aber weil ich halt inzwischen weiss, wie es in Unternehmen abgeht, weiss ich auch, dass die juristische Arbeit dort maßlos überschätzt wird. Insofern tue ich mir natürlich leicht, Dir zu sagen, bewirb Dich, das machst Du mit links. Und ehrlich, es ist oft genau dasselbe wie Sekretariatsarbeit (ich habe ursprünglich Sekretärin gelernt) nur mit ein bissel übergreifendem Projektmanagement. Ich dachte halt, ich kann Dir eine zusätzliche Möglichkeit aufzeigen.

Es ist doch länger geworden. Du würdest jetzt sagen hopphopp an die Arbeit ;-)

Es gibt heute bestimmt noch etwas, worüber Du Dich freuen kannst.

Liebe Grüße
Para

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